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PRESSEMITTEILUNG

Landesverbandstag Kirchengewerkschaft Landesverband Nord

Pflegekräfte haben keine Lobbyisten

Am 24. Oktober 2018 trafen sich in Bordesholm die Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen der Kirchengewerkschaft, Landesverband Nord, um sich inhaltlich mit der Situation in sozialen Berufen auseinanderzusetzen.

Als Referent war das Bundestagsmitglied Herr Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion „DIE LINKE“ vor Ort.

In seinem Fachreferat hat Herr Weinberg deutlich gemacht, dass sehr viel Geld im Pflegesystem, insbesondere im Krankenhaus-system der Bundesrepublik Deutschland gezahlt wird. Es wird nicht nur die Dienstleistung am Menschen in der Pflege als ein Marktwert gesehen, sondern, so Harald Weinberg, sind Pflege und Krankenhaus auch gute Renditezahler und Investitionspunkte für Großunternehmen und Investoren.

In der Bundesrepublik Deutschland arbeiten 5,5 Mio. Beschäftigte in der Pflege. Im Vergleich dazu arbeiten knapp 1 Mio. Arbeitnehmer in der Automobilindustrie. Schauen wir in die aktuellen Diskussionen der letzten Wochen und Monate, stellen wir fest, dass die Lobbyarbeit der Automobilindustrie sehr aktiv und politisch durchsetzend ist.

Die Problematik der 5,5 Mio. Beschäftigten in der „Pflegeindustrie“ ist dagegen gen null. Durch gesetzliche Voraussetzungen ist die Daseins-vorsorge im Bereich der Akutkrankenhäuser, der Reha-Kliniken sowie der ambulanten Pflege vordergründig angezeigt. Auch wird am Rande vieler politischer Themen darüber gesprochen, aber die Arbeitskraft der überwiegend Teilzeitbeschäftigten wird in den Einrichtungen als Ware gesehen und als Ware investiert.

Nicht zuletzt durch die Agenda 2010 und die dann folgende Öffnung für private Alters-vorsorge, die ja politisch gewollt war und ist, so Herr Weinberg, ist das Produkt Pflege in ihrer ganzen Breite für Privatunternehmen ein lukrativer Markt geworden.

Wenn wir uns statistische Zahlen anschauen, führte Herr Weinberg aus, zeigt sich, dass der Strukturwandel statistisch nachzuvollziehen ist. Früher hatten wir im Bereich der Krankenhäuser 37 % öffentliche Einrichtungen, 41 % kamen aus konfessionellen Trägerschaften oder der freien Wohlfahrtsverbände und 22 % waren private Krankenhäuser. Heute haben wir 29 % in öffentlicher Hand betriebene Krankenhäuser, 34 % liegen bei Konfessionellen oder der freien Wohlfahrt und 37 % sind private Krankenhäuser. So ist die Ware „Patient“ auf dem Finanzmarkt ein Kapital, das sich als Anlage für Renditen lohnt.

Bei dem Blick auf die Beschäftigten ist aufgrund der Zahlen des Bundesamtes für Statistik festzustellen, dass 18 % mehr Patienten versorgt werden müssen, die Arbeitnehmer im Vergleichszeitraum aber um 15 % zurückgehen.

Die Zahl der Ärzte steigt.

Wenn wir noch einmal die Statistik bemühen, ist die sogenannte „Liegezeit“, der stationäre Aufenthalt in einer Klinik, von durchschnittlich 14 auf 7 Tage zurückgegangen. Dieses ist der Tatsache geschuldet, dass durch die Einführung eines neuen Preissystems in 2003, der sogenannten Diagnose-Fallpauschale, die Krankenhäuser als Unternehmen ein Interesse daran haben, ihre Kosten zu senken. Das bedeutet, den Patienten so schnell wie möglich in eine andere Klinik oder auch gegebenenfalls schneller nach Hause zu entlassen.

Die klassische, normale Pflege, wie wir sie kennen und die unsere Gewerkschafts-kolleginnen und -kollegen leisten, ist zurück-gegangen. Der Schwerpunkt liegt nun im sogenannten Aufnahmebetreuungsverfahren oder im Entlassmanagement. Durch die sogenannten „kurzen Liegezeiten“ wird in dem direkten Versorgungsbereich das Personal zurückgefahren.

Aus der Teilnehmerschaft des Gewerkschafts-tages wurden dem Bundestagsabgeordneten dann verschiedenste Beispiele benannt. Es wurde darauf hingewiesen, dass gute Arbeit, die zweifelsfrei von den Pflegenden geleistet wird, auch gut bezahlt werden muss. Der Druck auf den Stationen, in den Einrichtungen, in den Kliniken ist durch eine extrem hohe Arbeitsverdichtung nicht nur als Beschäftigter sondern auch als Patient festzustellen.

Nach einer Studie des DGB, so hat der sozialpolitische Experte Harald Weinberg mitgeteilt, sind 75 % der Beschäftigten mit ihrer Arbeit und ihrer Situation unzufrieden und werden diese Arbeit nicht bis zum Eintritt ihrer Rente leisten können oder wollen. Dieser Prozentsatz wird nur von den Stahlkochern in der Metallindustrie übertroffen, wovon 76 % diese Aussage für sich unterschreiben.

Mehrere Untersuchungen haben festgestellt, dass aufgrund der demographischen Entwicklung bis zu 100.000 Kolleginnen und Kollegen in Vollzeit für den Bereich der Krankenhauspflege fehlen. Im Schnitt ist ein Pfleger, ob Krankenschwester, Krankenpfleger oder Hilfspersonal, für 13 Patienten verantwortlich. Statistisch ist dieses die sogenannte „rote Laterne“ in Europa. Dagegen muss man feststellen, dass z.B. die Asklepios Klinik einen ausgewiesenen Gewinn von 225 Mio. Euro in 2015 erwirtschaftet hat. Das Rhön-Klinikum im Vergleich hat 53 Mio. Euro Gewinn erzielt.

Auf Nachfrage aus dem Plenum an Herrn Weinberg hat dieser unumwoben zugegeben, dass die Politik, die er in Berlin mitgestaltet und in seiner Fraktion wahr und ernstgenommen wird, sehr zeitversetzt reagiert. So gibt es zwar gesetzliche Veränderungen, z.B. durch das Krankenhausstrukturgesetz, das 2016 einge-führt wurde, und die zum 01.01.2019 einzuführende Personaluntergrenzenrechts-verordnung, aber diese werden hier nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein sein, so Herr Weinberg.

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in den letzten Monaten immer mal wieder das Thema durch unterschiedliche Äußerungen als kleine Flamme in die Öffentlichkeit geworfen. So gibt es in dem Gesetzgebungsverfahren des Bundestages zurzeit die Diskussion der sogenannten vollen Ausfinanzierung von Pflegekräften. Auch sollen Pflegekräfte alle nach einer tarifrechtlichen Regelung, also einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für Pflegekräfte, bezahlt werden.

Aus politischer Sicht, so Herr Weinberg, liegt das Augenmerk auf dem schon vorgenannten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Hier geht es darum, dass die CDU wirkungsvoll gegen den Pflegenotstand vorgehen will. Durch die Gesetzgebung will die Regierung eine strengere Kontrolle einführen. Das würde bedeuten, dass ab 2020 jedes Krankenhaus das Verhältnis zwischen den Pflegekräften und dem anfallenden Pflegeaufwand berechnen und veröffentlichen muss. Daraus wird dann eine Grenze errechnet, die nicht unterschritten werden darf. Sollte dieses aber eintreten, wird es Sanktionen für das Krankenhaus geben.

Da wir ja im vorderen Teil schon gehört haben, wie schwer es ist, Pflegepersonal überhaupt zu finden, will die Regierung den Beruf attraktiver machen. Sie will eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf fördern. Auch soll die betriebliche Gesundheitsförderung gestärkt werden. Darüber hinaus bekommen Kranken-häuser Geld zur Ausbildung von Pflegepersonal.

Es wurde im Anschluss daran kritisch diskutiert, ob sich dadurch der sogenannte Pflegenotstand beheben lässt. Durch die Einführung dieses Gesetzes geht die Bundesrepublik davon aus, dass prognostizierend 13.000 neue Stellen in Pflegeheimen und Krankenhäusern geschaffen und finanziert werden können. Dieses kann und sollte der erste Schritt sein, so der sozialpolitische Sprecher von „DIE LINKE“.

Deutlich wurde Herrn Weinberg noch einmal von den Kolleginnen und Kollegen, die im Saal waren, mitgeteilt, dass die Gesetzgeber, gleich welcher Partei sie angehören, die Realität zum Volke und zu den Pflegenden verloren haben. Es sei nicht bekannt, dass irgendein Politiker, egal auf welcher Ebene, ob es nun der Landkreis, der Landtag oder der Bundestag war, in den letzten Jahren direktbetroffene Kolleginnen und Kollegen gesprochen haben, geschweige denn, wirklich mal eine Schicht ohne Öffentlichkeit mitgegangen sind.

So kann es, dass teilten die Gewerkschafts-kolleginnen und -kollegen der Kirchengewerk-schaft mit, nur weltfremd sein, dass hier mit solchem vermeintlichen Gießkannenprinzip versucht wird, eine Gesamtlösung zeitnah herbeizuführen.

 

Hubert Baalmann Gewerkschaftssekretär/Dipl. Jurist

 

 


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